Thema Soziale Gerechtigkeit angesichts globaler Krisen
An den vergangenen viel zu heißen und viel zu trockenen Sommertagen habe ich nachgelesen und nachgedacht über Fragen nach Reichtum, Wohlstand und Armut in unserer Gesellschaft angesichts der bevorstehenden krisenhaften Veränderungen.
Wie will ich leben? Wie kann ich aktiv gestalten, verantwortungsbewusst gegensteuern?
Hier kommt meine Leseliste für die Sommermonate:
Bernd Ulrich, Verschärfte Welt. Über die schwierige Frage, wer man sein will in der ökologischen Krise. In: ZEIT Magazin N°31 vom 28.07.2022)
Darin heißt es:
„Wer will ich sein in dieser Welt, die drauf und dran ist, sich zu ruinieren? Will ich jemand sein, der mit 1000 Ausreden in stressigen, fahrigen Selbstgesprächen ungefähr so weitermacht? Jemand, der an seinen Gewohnheiten mehr hängt als an seinen Kindern? Jemand, der in ständigem und steigendem Widerspruch zu seinen Werten lebt? – Oder einer und eine, die sich so verhalten, als könnten sie zu einer Wende etwas beitragen, und zwar unabhängig davon, ob diese Wende auch wirklich geschieht.
Der letzte Punkt ist entscheidend, wenn man aus dem Teufelskreis von Hoffnung und Resignation, Tierliebe und Menschenverachtung aussteigen will: sich innerlich unabhängig zu machen vom Erfolg, den man gleichwohl mit aller, jedenfalls mit eigener Kraft anstrebt. Nennen wir es mal Öko-Existenzialismus.
Wenn es einem gelingt, sich da hineinzuleben und hineinzumeditieren, dann ist es auch besser auszuhalten, wenn andere sich anders verhalten – und wenn ich mich selbst nicht ganz so verhalte, wie ich möchte. (…) Öko-Existenzialismus ist in diesem Sinne postmissionarisch. Der Vizekanzler sagte letztens in einem Interview zum Energiesparen im Angesicht von Klima- und Ukraine-Krise folgenden für Politiker doch recht ungewöhnlichen Satz: »Menschen können sich entscheiden, wer sie sein wollen.« Ja, genau.“
Martin Kordić, Jahre mit Martha, erscheint am 31.08.2022
Der wunderbare neue Roman von Martin Kordić behandelt die Fragen von Klassenzugehörigkeit in unser postmigrantischen Gesellschaft und denkt dabei nach über die Bedeutung von Liebe, Familie und Lebensglück. Das Buch hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. In der Ankündigung des Fischer-Verlags heißt es: „Ein zärtlicher und mitreißender Roman über Machtverhältnisse und über die Frage nach dem Gleichgewicht der Welt.“ (https://www.fischerverlage.de/buch/martin-kordic-jahre-mit-martha-9783103971637)
Thomas Kretschmer, Schatten im „Paradies“, MUH 45/2022, Seite 18-20
Der Journalist hat in dem Magazin einen Artikel zu Armut und sozialer Ungleichheit in Bayern geschrieben.
Zündfunk Generator
Eine bereits etwas in die Jahre gekommene Sendung, die aber gerade im Rückblick aufschlussreich dokumentiert, wie in der neoliberalen Gesellschaft – gestützt von Politik und Medien – die Erzählung vom faulen Sozialschmarotzer im Gegensatz zum Leistungsträger heraufbeschworen wurde. Die in den 80er und 90er Jahren heraufbeschworenen Bilder prägen noch heute unseren Blick auf arme Bevölkerungsgruppen. Der Abbau des Sozialstaates und wachsender Klassismus sind Probleme, die uns angesichts der krisenhaften Gegenwart und der steigenden Armut auch in Deutschland schwer treffen.
Christian Neuhäuser, Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit, Reclam Verlag Stuttgart 2019
Christian Neuhäuser stellt in dem kleinen Band die Frage, ob Kritik an Reichtum immer auf Neid basiert. Oder anders herum: Kann es überhaupt gerechten Reichtum geben? Wie kann ein gerechter Umgang mit Reichtum aussehen?
Ulrich Beck, Die Metamorphose der Welt, Suhrkamp Verlag Berlin 2017
Das letzte Buch des 2015 verstorbenen Münchner Soziologen, in dem er die These aufstellte, dass der bevorstehende Klimawandel zu einer Metamorphose der Welt führen wird, die (im Unterschied zu bisherigen gesellschaftlichen Transformationen) kaum absehbar oder gar planbar verlaufen wird. Der Text ist noch immer verstörend und dystopisch zu lesen, obwohl all die beschriebenen Szenarien inzwischen bekannt und offensichtlich sind. Und zugleich ist das Buch durchdrungen von der Zuversicht, dass die Menschen global und gemeinschaftlich Wege finden werden, zu einer lebbaren und vor allem auch lebenswerten Existenz – auch wenn es völlig unvorhersehbar ist, wie diese lebenswerte Zukunft aussehen wird.
Zum Abschluss der letzte Absatz aus diesem Buch:
„So wird am Ende dieser Diskussion über die fortschreitende Verwandlung der Welt offensichtlich, dass die Metamorphose der Ungleichheit das zentrale Problem der Zukunft ist. Das liegt erstens an der Institutionalisierung der Gleichheitsnormen, die es unmöglich machen, globale Ungleichheiten weiterhin zu übersehen, weil sie die aus nationaler Perspektive postulierte Unvergleichbarkeit nationaler Ungleichheitsräume zu Fall bringen. Bestehende Ungleichheiten verlieren damit ihre Legitimität und werden (offen oder heimlich) zum politischen Skandal. Zweitens liegt es daran, dass die Ungleichheit selbst zunimmt, auch innerhalb der Nationalstaaten. Drittens stehen öffentliche Mittel, die die wachsende Ungleichheit kompensieren könnten, nicht mehr zur Verfügung. Viertens liegt es daran, dass die Verteilung der bads Risikoklassen, Risikonationen und verschiedene Arten und Grade neuer Ungleichheiten entstehen lässt. So bildet sich eine Synthese aus Armut, Vulnerabilität und mit dem Klimawandel und Naturkatastrophen einhergehender Gefahren heraus. Alles in allem betrachtet, leben der Neandertaler und der homo cosmopoliticus in einer Welt, in der Ungleichheit zu einer in sozialer und politischer Hinsicht explosiven Kernfrage geworden ist. Ihre Gefährlichkeit entsteht heute vor allem im Kontext sogenannter »Natur«-Katastrophen, die in Wirklichkeit vom Menschen herbeigeführt sind, und vor dem Horizont eines Gleichheitsversprechens, das für alle gilt.“ (Seite 252f.)